RRRRRRIIIINNNGGGGGG … der Wecker klingelt. Es ist 03:30 in der Früh.
Soll ich jetzt wirklich schon was frühstücken? Ich entscheide mich für einen Bissen in eine alte Brezel und koche eine Kanne Kaffee zum mitnehmen. Heute geht es wieder auf Rehkitzsuche. Es ist Anfang Mai und manche Ricken haben bereits gesetzt. Von diesem Zeitpunkt bleiben uns etwa 3-6 Wochen um Rehkitze davor zu bewahren von Landmaschinen bei der Maht erwischt zu werden. So lange haben Kitze keinen Fluchtreflex und drücken sich lediglich auf den Boden, wenn sie Gefahr wittern. Auf dem Weg zum Auto schnappe ich mir den Drohnenkoffer mit der Thermaldrohne und eine ganzen Menge an Akkus. Die Ausrüstung zur Kitzrettung wurde auch durch die Umweltlotterie „GENAU“ und die Jagdgenossenschaft beigesteuert.
In meinem Pickup liegen bereits die Kartons für die Rettung, sowie einige neue Handschuhe, Gurte, Funkgeräte und ein Kescher, sollte das Kitz doch schon abspringen wollen.
Auf dem Weg zum Treffpunkt sehe ich die erste Helligkeit am Horizont und wie jedes mal frage ich mich, ob wir nicht schon zu spät dran sind. Wir, das sind meine Wenigkeit, Torben als weiterer Drohnenpilot, sowie viele unserer Vereinskollegen, die um diese Urhzeiten auch nichts besseres zu tun haben. Wir treffen uns in der Nähe der ersten Wiese. Eine von vielen, die heute von einem der ortsansässigen Landwirte gemäht werden müssen. Früh im Jahr haben wir uns getroffen und am PC die Flightplans erstellt, um am Flugtag schnell handeln zu können. Alle sind pünktlich da. Jedem ist die Rehkitzrettung wichtig. Wir bauen den großen Bildschirm auf und aktivieren den ersten Flightplan. Check der Drohne und des Luftraums und los gehts. Ab hier fliegt die Drohne mit Autopilot und wir schauen gemeinsam auf den Bildschirm. Wir suchen nach der markanten Wärmesignatur von Rehkitzen. Beim Probeflug im Frühling haben wir jeden kleinen Punkt gefeiert, immer weiter reingezoomt, oder sind herangeflogen … nur um festzustellen, dass es Mäuselöcher waren. Anfänger halt. Naja, mittlerweile wissen wir, worauf wir achten müssen.
Heute ist es empfindlich kalt und alle hoffen, dass uns bald die Sonne wärmt. Aber eigentlich auch nicht, denn scheint die Sonne über die Felder und erwärmt diese, wird es mit jeder Minute schwieriger die Wärmepunkte zu finden und zu erkennen. Daher fliegen wir so früh wie nötig und so spät wie möglich, damit die Zeitspanne nach unserer Freigabe für das Feld und dem tatsächlichen Mähen möglichst gering ist.
Da ist der erste Punkt! Schaut irgendwie immer aus, wie eine Erdnuss. Die Helfer machen sich auf den Weg. Per Funk und Headset (ich brauche ja die Hände an der Fernbedieung der Drohne) bin ich mit ihnen verbunden. Die Drohne lasse ich genau über dem Punkt schweben und gehe ein Stück runter. Zusätzlich schalte ich das Licht an. langsam nähern sie sich der Stelle im hohen Gras. Leider Fehlanzeige. Vielleicht eine vor kurzem noch genutze Liegestelle. Um mit den Akkus hin zu kommen, fliege ich sofort weiter. Die Helfer machen sich auf den Rückweg.
Die erste Wiese ist abgeflogen und kann freigegeben werden. Auf zur nächsten. Im Hardtop des Pickups steht eine große Powerbank, angeschlossen an eine Solarzelle. Hier hängt bereits der erste leergeflogene Akku dran. Man weiß ja nie, ob man nicht doch mehr braucht.
Der Boden ist uneben und staubig und ich starte die Drohne aus der Hand. Möchte man lange dieses nicht ganz billige Gerät nutzen, ist das wohl eh die schonendste Start- und Landetechnik. Wir sehen Füchse, und Hasen und eine Ricke. „Ernest“, einer unserer jagderfahrenen im Verein, beurteilt anhand der Drohnenbilder, ob sie noch trägt, oder schon gesetzt hat. Sie trägt noch. Das kann eine gefährliche Situation werden. Denn setzt sie direkt nach unserem Einsatz, geht der Landwirt von einer freien Wiese aus. Ein Restrisiko ist leider nie ganz auszuschließen. Wir sehen die Ricke aber aus der Gefahrenzone herausgehen und fliegen weiter.
Bei der übernächsten Wiese müssen die Helfer wieder ran. Ein sehr eindeutiger Fleck auf dem Bildschirm der Wärmebilddrohne. Also wieder die Routine abrufen. Funk an, Zugang finden, kürzesten Weg zur Stelle … und tatsächlich finden die Helfer diesmal ein wenige Tage altes Rehkitz. Im hohen Gras stolpert man wirklich fast darüber, da das Kitz eigentlich nur aus der Vogelperspektive zu sehen ist. Auch ein Grund, warum Landwirte bei der heutigen Geschwindigkeit und Größe der Maschinen eigentlich keine Chance haben solche Unfälle zu vermeiden. Früher hat man Windrädchen aufgehängt, oder Plastiksäcke. Damit die Ricke bestenfalls das Kitz in ein ruhigeres Feld setzt. Auch heute wird das oft im Vorfeld trotz Drohnenaufklärung gemacht. Niemand möchte diese Unfälle. Denn die Kitze sind selten sofort tot. Oft nur verstümmelt und erleiden einen qualvollen Tot. Dieses hier hat Glück. Mit wachen Augen schaut es die Helfer an. Es wird mit einem frisch aus der Packung geholten Paar Handschuhe und zusätzlich ausgerupftem Gras, damit das Kitz nicht nach Mensch riecht, vorsichtig aus seinem Versteck in den großen und mit Gras ausgepolsterten Karton gelegt. Ein Gurt sichert das ganze, sollte es doch herausspringen wollen. Die Helfer suchen eine sichere Stelle am Rand der Wiese, im Schatten und noch in Rufweite der Ricke. Die ist erfahrungsgemäß immer in der Nähe.
Wir geben die Wiese frei und fliegen den Rest der heutigen Felder ab. Heute bleibt es bei einem Kitz.
Nachdem die gecheckten Felder gemäht sind, machen sich die, die nicht mittlerweile ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen auf den Weg, das Kitz wieder aus dem Karton zu lassen. Ein schönes Plätzchen, wo es vor Fressfeinden geschützt ist. Wir wurden angeschrieben, ob die Ricke das Kitz denn nach diesen Aktionen auch wirklich annimmt. Also habe ich mir das mit der Drohne angeschaut. Es vergehen meistens nur wenige Sekunden, da haben die beiden sich gefunden und suchen sich ein ruhiges Gebiet.
Jetzt heißt es, Ausrüstung checken, Akkus ans Ladegerät, Rücksprache mit den Landwirten und ab in die Arbeit. Nach dem Abendessen sofort ins Bett, denn Morgen früh klingelt der Wecker.
In unserer kleinen Gemeinde Watzenborn-Steinberg haben wir in zwei Saisonen insgesamt 13 Rehkitze retten können. Und wenn ich im Herbst spazieren gehe und Rehe sehe, frage ich mich, ob da wohl welche dabei sind, die wir gemeinsam retten konnten.
Dafür stehen wir gerne früh auf.
Vielen Dank auch allen externen Helfern und Spendern für euer Engagement!